Belgien / Geschichte

Die Befreiung und die Monate danach


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5. September 1944, 9.30 Uhr. Von Mortsel her nähern sich vier britische Aufklärungsfahrzeuge. Auf dem Grote Markt strömen die Menschen zusammen, um sie zu begrüßen. Im Schritttempo fahren die Briten durch die ausgelassene Menge. Sie verlassen Lier sofort wieder in Richtung Herentals. Lier ist befreit! Oder nicht?

Noch nicht alle deutsche Truppen haben Lier verlassen. An verschiedenen Orten schießen Gruppen von Deutschen auf dem Rückzug auf die manchmal schon feiernden Einwohner. In den heutigen Teilgemeinden Koningshooikt nehmen die britischen Befreier sogar noch eine große Zahl deutsche Soldaten gefangen.

Nicht alle Bürger von Lier erleben die Befreiung mit. Wie in vielen anderen belgischen Städten deportierten die Deutschen während der Besatzung mithilfe der Stadtverwaltung die jüdischen Einwohner. Von der Dossinkaserne in Mechelen wurden sie weiter in die Vernichtungslager des Dritten Reiches verschleppt. Der übergroße Teil überlebt diese Lager nicht; unter ihnen Dyszka Zolty und ihre Kinder Berisch, David und die Neugeborene Mireille. Wenige Wochen vor der Befreiung werden sie aus Lier deportiert und in Auschwitz vergast. Mithilfe der Bevölkerung taucht Vater Jakob Lemel in Emblem unter. Die Befreiung muss er allein erleben.

Für die Einwohner, die mit den deutschen Besatzern zusammengearbeitet haben – oder dessen verdächtigt werden – ist die Befreiung von Lier alles andere als ein Fest. Sofort nachdem die deutschen Truppen Lier verlassen haben, sperrt der Widerstand 322 sogenannte „Schwarze“ in die Sionkaserne. Genau wie in Breendonk oder anderenorts in Belgien nimmt der Widerstand Rache. Gefangene werden misshandelt. Der Stadtmagistrat greift ein. Die der Kollaboration Verdächtigten werden in ein Internierungslager in Mechelen verbracht, wo sie auf ihren Prozess warten. 

Der Krieg dauert an 

Die britischen Befreier ziehen schnell durch Lier. Nicht lange danach treffen neue Soldaten ein. In dem dortigen Lehrerseminar (der Rijksnormaalschool) wird Ende September ein zeitweiliges Lazarett für 300 Patienten eingerichtet. Wie auch anderenorts in der Provinz Antwerpen werden hier Soldaten versorgt, die bei den weiteren Kämpfen gegen die deutsche Armee verwundet wurden. Soldaten die sterben, werden auf dem Militärfriedhof am Mechelsesteenweg begraben. Heute ruhen dort immer noch etwa vierzig Militärs. 

Die alliierten Truppen installieren auch Luftabwehrstellungen in Lier und Koningshooikt. Um das Kriegsglück noch einmal zum Vorteil der Deutschen zu wenden, lässt Hitler nämlich eine Geheimwaffe auf das befreite Antwerpen richten: die gefürchteten Flugbomben. Die Stadt ist wegen ihrer strategischen Bedeutung für die Alliierten ein wichtiges Ziel der Deutschen. Lier und Koningshooikt sind Teil eines Verteidigungsrings um Antwerpen, den diesen kleinen deutschen unbemannten Flugzeugen ausschalten soll. 

Lier und Koningshooikt werden selbst auch Opfer von V-Bomben. Diese Geschosse sind wenig zuverlässig und stürzen oft ab, bevor sie ihr Ziel erreichen. Auch vom Himmel abgeschossene Bomben richten vor Ort große Schäden an. Insgesamt fallen 55 V-Bomben auf Lier und 15 auf Koningshooikt. Das führt nicht nur zu materiellem Schaden, sondern kostet auch 49 Menschen das Leben. Erst im März 1945 hört der deutsche Terror endlich auf und die Kriegsgewalt findet ein Ende.

Acaciaplein 2500 Lier